‘There are no words to describe the all encompassing sound, neither in poetry nor in music – let alone in music criticism… The dialogues that were dreamed up between orchestra and piano, were of pure and delicate lyricism.’
Hélène Grimaud machte aus schwerem Drama eine BalladePianistin Hélène Grimaud und das City of Birmingham Orchestra unter Andris Nelsons beim "Heidelberger Frühling". 24.03.2014, 06:00 Poetin am Klavier: Hélène Grimaud. Foto: Joscha Steffens Von Marie-Theres Justus Musik kann Geschichten erzählen: Drama, Leidenschaft, Komödie. Das weiß man. Aber sie kann mehr als das. Sie kann feinste Verästelungen hörbar machen. So wie ein Gedicht weit mehr ist als Handlung und passende Worte, so können durch die Töne hindurch wundersame, einzigartige, edle Gebilde erklingen, die die Seele zutiefst berühren. Danach ist der Mensch verändert. Und die Welt – vielleicht – ein ganz kleines bisschen besser. Sternstunden dieser Art sind ebenso selten wie kostbar. Dass so etwas gelingen kann – ausgerechnet bei dem 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms – grenzt an, nein, es ist ein Wunder. Das schon bei den Zeitgenossen nicht sonderlich beliebte Werk schmeichelt weder den Ausführenden noch dem Publikum. Als sperrig, wuchtig, hanseatisch kühl gilt die komplexe Komposition – und ebenso wird sie meist gestemmt. Hélène Grimaud machte aus dem schweren Drama eine Ballade. So konnten sich zur düsteren Melancholie des d-Moll-Werkes viele erzählende und lyrische Momente gesellen. Die begnadete Pianistin zauberte dabei all das an Klangsinn und Innigkeit aus den Tasten, für das sie das Publikum so liebt. Hypersensitiv gestaltete sie die Kantilenen und ließ bei aller vollgriffigen Emphase jederzeit Luft für das Atmen der Seele. Und dahinter erklang all das "avec", für das es weder in der Lyrik noch in der Musik – geschweige denn in der Musikkritik – irgendwelche Worte gibt. Das allerdings konnte sich in dieser Weise nur ereignen durch das Orchester: Andris Nelsons und das City of Birmingham Symphony Orchestra schufen nicht nur den Rahmen für das Klavier, sondern gingen eine innige Verbindung ein. Nelsons ist ein Orchestermagier. Wenig elegant, dafür mit vollem Risiko, leidenschaftlich und direkt ist sein Dirigat. Und er ist ein Zauberer der Klangfarben. Unfassbar sensibel sind feinste Nuancierungen im Orchester ausgelotet. Die klangliche Flexibilität in allen Instrumentengruppen enthüllt eine reiche und akribische Probenarbeit – bei Solokonzerten ja leider eher eine Seltenheit. In diesem Fall zeigte sich das Orchester der Pianistin musikalisch absolut gewachsen. Die Dialoge, die sich zwischen Orchester und Klavier entsponnen, waren pure und delikate Lyrik. "Romeo und Julia" erzählt eine ganz andere Geschichte. Die Ballettmusik von Sergei Prokofjew interpretierte Nelsons mit emotionaler Wucht. Weder sich noch das Orchester schonte der Dirigent in seiner offensiven Interpretation. Weit, weit entfernte sich Nelsons von der gängigen Lesart als Bühnenmusik: Das Geschehen um Liebe und Tod entfaltete sich kompromisslos und existenziell. Andris Nelsons ging bis an die Grenzen: im Tempo, im Lauten, im Leisen. Seiner fein ausgeloteten Agogik vermochte das Orchester formidabel zu folgen. Wunderbare Soli in allen Gruppen – wie schon in der einleitenden Ouvertüre zu Beethovens "Die Geschöpfe des Prometheus" – und exzellentes Zusammenspiel zeigten das Spitzenniveau des City of Birmingham Symphony Orchestra. Frenetischer Jubel in der restlos ausverkauften Stadthalle.