Skip to content Skip to footer

Concert Review: Badische Zeitung (Germany)

Badische Zeitung (Germany), 21 March 2014
Romeo und Julia tanzen, und der Dirigent tanzt mit24. März 2014 Perspektivenreichtum bei Brahms, Farbenreichtum bei Prokofjew: Andris Nelsons und das Birmingham-Orchester mit Hélène Grimaud in Freiburg. Gewaltiger Paukendonner. Finster glucksende Triller, quer durchs Orchester. Ausdrucksgeladen das alles, voluminös, fast schon pompös. Ein Brahms-Beginn comme il faut. Das erste Klavierkonzert, als instrumentale Hochdramatik angelegt. So hätte das weiter gehen können bei den Freiburger Albert-Konzerten, und es wäre gut gewesen. Aber es war mehr. Was wir bald bewunderten, war eine Wiedergabe des d-Moll-Werks, die einen geradezu ungeheuren Perspektivenreichtum entfaltete. Auf dem Podium des vollen Konzerthauses das City of Birmingham Symphony Orchestra. Es führte eindrucksvoll vor, wie berechtigt seine in Simon Rattles Zeiten erworbene internationale Prominenz ist. Am Pult sein lettischer Chef Andris Nelsons, der im Sommer auch das von Claudio Abbado hinterlassene Elite-Orchester in Luzern übernehmen und im Herbst die Regentschaft in Boston antreten wird. Nicht dass die Brahms'sche Wucht unterlaufen oder gar verkleinert worden wäre – dennoch war es das lyrische Gegengewicht, das diese Wiedergabe zum veritablen Ereignis machte. Und diesen ganz entschiedenen Tonfall brachte die Solistin Hélène Grimaud ein. Wie sie das zweite Thema als Keimzelle des poetischen Koreferats entwickelte, ganz langsam, in aller abgetönten Behutsamkeit, in aller delikaten Detailfülle, wie sie sich, absolut nicht aufs pianistische Muskelspiel aus, als die prima inter pares gebärdete, die in dieser kaum verkappten Sinfonie mit obligatem Klavier gefragt ist – das zeugt von beträchtlichem Brahms-Verständnis. Desgleichen, wie sie samt Dirigent und Orchester die größte Aufmerksamkeit in die Schicksale der musikalischen Gedanken – sprich: in die spezifisch Brahms'sche Motivverwertung – investierte. Die Pianissimo-Versenkung, in die das Adagio bei Grimaud/Nelsons abtauchte: aufregend in ihrer Zartheit. Ein ausgeprägter interpretatorischer Geschmack bewahrte das durchaus eher vordergründige Final-Rondo vor jedem Rumpeln und Poltern. Als Beleg mag die Feinheit genügen, mit der sich das Fugato vorantastete, ohne dass die Ungebärdigkeit des Satzes sich hätte verstecken müssen. Nach der Pause ein Auftritt in tönendem Technicolor. Eine Kollektiv-Demonstration in instrumentaler Virtuosität. Zur Debatte stand ein Suiten-Mix aus Sergej Prokofjews Ballett "Romeo und Julia". Generaleindruck: Das Liebespaar tanzt, und der Dirigent tanzt mit – ein lustvoller Musikdarsteller, den die Seinen nicht spüren lassen, dass derlei Taktstocktheater in der Sache selbst nichts bringt. Das spektakuläre Ergebnis untermauert gleichwohl die allgemeine Erkenntnis, dass der Mittdreißiger Nelsons unter den auffallend vielen jüngeren Pultbegabungen die genialischste ist. Da wird orchestral aufs Schönste gesungen, wird die malerische Qualität der Musik aufs Farbigste ausgeschöpft, bis in die schreiende Dissonanz, die brutalen Einschläge beim Tod Tybalts ausgereizt. Man hörte ein helles Klangpoem in der Balkonszene, einschmeichelnde Momente der preziösen Holzbläsersanglichkeit und eine vital stampfende Massenbewegung. Hinreißend. Viele Bravorufe. Autor: Heinz W. Koch

Share:

Sign up for News